Jean-Remy von Matt, der Sturm im Werberglas und ein paar Gedanken

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Ein paar Tage sind ins Land gezogen, seit Jean-Remy von Matt mit seinem Interview und dem anschließenden Artikel in der WuV mal wieder ein Sturm im Werberglas ausgelöst wurde. Nachdem sich die Wogen wieder geglättet haben kann man auch mit etwas Abstand die ganze Aufregung betrachten und einmal analysieren.

Sicherlich wurden hier wieder einmal viele Faktoren in einen Topf geworfen, die dann zu der Aufregung geführt haben. Zum einen war da natürlich “der Sonnenkönig” Jean-Remy von Matt, der mal wieder es sich nicht in einem Interview mit Zeit Campus verkneifen konnte ein paar provokante Kommentare von sich zu geben. Auf der anderen Seite die WuV, welche den Ball dankbar aufnahm und fragmentiert zu einem Artikel zusammen schusterte, der eine Steilvorlage für so ein Shitstorm lieferte.

Wer hat jetzt aber recht? War die Aufregung künstlich provoziert? War allen Beteiligten langweilig? Nein, ich glaube nicht. Dieses Interview hat aus meiner Sicht ein paar Dinge wieder sehr offen zu Tage befördert:

Es geht hier nicht um einen missverstandenen und ach so lieben Jean-Remy von Matt, der die Hälfte seiner Zeit als Professor verbringt und die andere im Office, oder im Busen seines Apartment. Es geht um diese Attitude, dass jemand, den Wechsel in den Generationen nicht mitbekommen hat oder ihn schlichtweg ignoriert.

Man muss auch leider sagen, dass die Leute die hier zustimmen meistens mindestens zustimmenden Kommentare schon CDs, CSDs oder noch höher in der Hierarchie der Agenturwelt stehen. Diese Sichtweise der Führungsriege ist so weit weg, von der Sichtweise von der Groundforce von heute.

Wenn man sich die Kommentare auf Facebook durchliest merkt man schnell, das aus den oberen Rigen der Agenturwelt mehr diese “was habt ihr denn?” Attitude kommt. Ich glaube die Grundverstimmung, die hier in den Kommentaren durchkommt ist ein Spiegel der Agenturwelt wie sie gerade ist, und wie sie von den Oberen entweder komplett verkannt wird, oder ignoriert wird oder schlichtweg nicht kapiert wird.

Das Bild der Arbeit verändert sich.

Fakt ist: Werbung heute ist nicht mehr, wie es Werbung in den 60ziger, 70zigern oder vor 10 Jahren war. Wir sind nicht mehr in diesem “When we were Kings”-Szenario, wie es Amir Kassaei mal in der WuV fast wehmütig beschrieben hat. Noch immer gehen junge Menschen an die Hochschulen mit dem Ziel in der Agenturwelt ihren Traumjob zu finden. Aber die Ansprüche haben sich geändert. Work-Life Balance ist immer mehr in den Köpfen der Absolventen nach oben gerutscht. Sie wollen nicht mehr bis in die Puppen in der Agentur sitzen um dann noch im Anschluss den kümmerlichen Rest ihres Tages auch noch mit den Kollegen beim Feierabend-Bier verbringen. Ihr Zentrum des Lebens hat sich ausserhalb der Agentur verschoben, und das muss auch die Agenturwelt verstehen. Natürlich muss man auch innerhalb der Agentur entsprechende Möglichkeiten dieser Generation bieten ihr Maximum abzurufen. Dazu bedarf es nicht einmal eines Bällebads oder eines Kicker-Tisches (wobei ich Letzteres echt nice finde). Vielmehr muss die Agentur das Thema gemeinsame Ziele und gemeinsame Identität wieder verstärkt fördern, damit man auch hier und da “die Nachtschicht” schiebt.

Und auch das Thema “Bezahlung” sollte nicht immer so abfällig von den Chefetagen nach unten geschoben werden. Man darf nicht so blauäugig sein, und nach dem Studium erwarten vom ersten Chef mit Schubkarren voller Geld erwartet zu werden. Dazu fehlt es einfach an Erfahrung. Aber vergleicht man die Einstiegsgehälter der Branchen, stellt man recht schnell fest, dass die Kommunikationsbranche vergleichsweise schlecht bezahlt, und gerade die Kreation kann davon ein Lied singen. Zum Glück sind die Zeiten vorbei, als man als fertiger Absolvent noch (in der Regel) kostenlos oder für ein lausiges Praktikantengehalt seine ersten Schritte in der Werbebranche getan hat. Aber das reicht heute bei weitem nicht mehr. Gerade in den Hochburgen der Werbung (Hamburg, München, Berlin und Frankfurt) sind die Lebenshaltungskosten dermaßen in den letzten Jahren nach oben gegangen, dass man sehr wohl das Thema Geld als Diskussionsgrundlage und als Entscheidungspunkt bei der Wahl des Arbeitsplatzes sehen muss. Was nützt es mir denn, bei einer ach so tollen Top-Agentur arbeiten zu können, wenn ich damit gerade so über die Runden komme? Dafür gehen Leute heute nicht mehr an die Uni, verzichten 4-8 Jahre auf ein Gehalt. Und das muss man an Jean-Remys Denkweise massiv kritisieren. Wenn man sich einmal die Einstiegsgehälter bei anderen Berufen anschaut, muss man sich nicht wundern, warum diese Frage immer und immer wieder gestellt wird. Bei Absolventa (https://www.absolventa.de/karriereguide/arbeitsentgelt/einstiegsgehalt ) läßt sich nachlesen das die Einstiegsgehälter in der IT-Branche zwischen 35.000 – 40.000 EUR liegen, bei Ingenieurberufen ebenso wie in der Finanzbranche zwischen 40.000 – 50.000 EUR. Wenn man dann liest, dass JvM einem Einstiegskreativen gerade einmal so knapp 28.000 EUR bietet, dann erübrigt sich die Frage, warum die Leute eben DOCH auf s Geld schauen. Man ist schließlich auch Akademiker, hat jahrelang die Schulbank gedrückt und ja, das möchte man auch irgendwo auf dem Gehaltscheck wiederfinden.

Neue Player im War for Talents

Was die Sache noch verkompliziert, ist die Tatsache das im War for Talents inzwischen Unternehmen mitmischen, die vor 10 Jahren so noch nicht bei den Absolventen für Kommunikationsberufe mitgemischt haben. Unternehmen wie Apple, Google, Faceboook. Diese locken mit Sozialeistungen, Beteiligungen Work-Life Balance und weiss der Geier was noch. Und natürlich auch mit einem etwas anderen Gehalt. Alles Dinge, die ein Werber mal gehört aber selten in den Genuss gekommen ist. Auch das ein Accenture inzwischen anfängt den klassischen Agenturen Konkurrenz zu machen trägt nicht zur Entspannung im War for Talents bei, denn auch hier wird letztendlich mit einem besseren Gehalt geworben. Und die Leute springen darauf an.

Fazit

Es heisst nicht, dass man hier jetzt nur nach dem Geld schauen sollte…weil dann hat man auch etwas falsch gemacht, aber angepasste Entlohnung für gute Arbeit trägt auch mit zur Mitarbeiterzufriedenheit bei. Das kann ein Mensch mit einem sechsstelligen Jahresgehalt vielleicht nicht nachvollziehen, aber es macht einfach keinen Spass und es frustriert ungemein, wenn man am immer am Monatsende blank ist. Und muss auch mal von den Spitzen der Agenturwelt eingesehen werden. Wer immer noch denkt das ein guter Name die besten Absolventen anzieht, dem kann ich leider nur sagen: Sorry, der Zug ist abgefahren.

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